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Sollte dieser Gesetzesentwurf durchkommen, werden wir, vor dem Parlament, in einen Sitzstreik treten
Gespräch mit Shirin Ebadi
Donnerstag 28. August 2008, von
Feministische Schule: Diese Tage sind wir Zeuge von Entwurf und Beschluss jener Gesetze in Parlament (8. Legislaturperiode), gegen welche die Frauen- und Menschenrechtsaktivisten protestieren. Darunter das sogenannten Familiengesetz, das von diesen Aktivisten als familienfeindlich wahrgenommen wird. Schon in vergangenem Jahr, als dieses Gesetzt dem Parlament vorgelegt wurde, haben sich viele Frauen aus unterschiedlichen Fronten dagegen geäußert. Eine Petition mit 2000 Unterschriften wurde in diesem Zusammenhang veröffentlicht. Dieses Jahr, in den ersten Monaten der Legislaturperiode, wurde dieses Gesetzt wieder in Arbeitsprogramm der Parlamentskommissionen vorgenommen. In diesem Zusammenhang gab es ein Gespräch mit Shirin Ebadi (Nobelpreisträgerin)
Hier Auszüge aus dem Interview:
Wie Sie wissen, wurde der Entwurf zum Familienschutzgesetz in der Rechtskommission des Parlaments ohne Änderungen beschlossen. Es scheint, dass es bald dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt wird. Der Inhalt dieses Gesetzes und die Zusatzparagraphen, wie z.B. §23, der von der Regierung zugefügt wurde, sind von der Kommission als legitim (in Übereinstimmung mit Scharia’ ) anerkannt. Wie sehen Sie die Konsequenzen eines solchen Gesetzes?
Der neue Entwurf ist in Wahrheit keine Stütze für das Wesen der Familie, sondern ein Schritt zur Destabilisierung der Familienstrukturen. Laut diesem Gesetze kann ein bereits verheirateter Mann eine zweite und eine dritte Frau heiraten ohne die Zustimmung seiner ersten Frau einholen zu müssen. Voraussetzung dazu ist, dass er finanziell und emotional in der Lage ist die Gerechtigkeit unter seinen Frauen zu gewährleisten. Über die Einhaltung des Prinzips Gerechtigkeit entscheidet das Familiengericht und diese Entscheidung hat vor der 2ten Eheschließung zu fallen. Die wichtigste Frage die sich dabei stellt ist, wie das Gericht feststellen kann, dass die Gerechtigkeit zwischen der ersten und der zukünftigen 2ten Frau berücksichtigt wird, wenn die Ehe noch nicht vollzogen ist. Also ist in diesem Fall die gestellte Vorbedingung unmöglich zu erfüllen; das stellt nur einen bedeutungslosen Satz dar, der am Papier steht. Das einzige was der Mann vor dem Gericht tatsächlich belegen kann ist sein Vermögen. Daher bedeutet dieser Paragraph lediglich eine Möglichkeit für reiche Männer, ihre Lüsternheit zu legitimieren. Dabei wird das Prinzip der Gerechtigkeit völlig ignoriert. Aus diesem Grund sehe ich dieses Gesetz und ins besondere den Zusatz §23- im Gegenteil zu der Kommission- nicht als islamisch an. In der vorislamischen Zeit hatte Polygamie unter Arabern Tradition; in manchen Fällen hatten Männer sogar bis zu 40 oder 50 Frauen. Islam hat diese zahl auf vier eingeschränkt und das auch unter der Bedingung der gelebten Gerechtigkeit. In einer von Korans Versen an die Menschen heißt es: „Ihr könnt niemals die Gerechtigkeit gewährleisten“. Das bedeutet, dass die wahre Position von Islam in dieser Frage eigentlich die Monogamie darstellt. Wenn in gewissen Randsituationen, wie z.B. nach Kriegen, wo die Anzahl der Frauen überwiegt, die Gesellschaft die Polygamie erduldet hat, so sollte in der Normalsituation doch die klare Aussage von Koran beachtet werden. Somit besteht selbst die Scharia’ auf Monogamie!
Wie sehen Sie die anderen Zusätze wie die Versteuerung des Morgengabe (Mehriyeh)?
Ein anderes Problem bei diesem Entwurf ist, dass der Morgengabe(Mehriyeh) versteuert werden muss. Ich persönlich bin prinzipiell gegen hohen Morgengaben, aber die männlichen Gesetzgeber sollten wissen, dass viele Familien solche hohen Morgengaben allein aus einem Grund verlangen, und der ist die gesetzlich manifestierte Diskriminierung der Frauen und die Nachteile die ihnen daraus erwachsen! In unserer Gesellschaft kann ein Mann - ohne Angabe von Gründen- die Ehescheidung von seiner Frau durchsetzen, er hat die Möglichkeit bis zu vier Frauen (auf Dauer) und unzählige (auf Zeit) zu haben; in dieser gleichen Gesellschaft braucht die Frau eine schriftliche Erlaubnis Ihres Mannes um reisen zu dürfen. Man kann viele andere Beispiele von offensichtlichen Diskriminierungen aufzählen die Frauen erleiden müssen… Unter diesen Umständen sehe ich dass die Möglichkeit der Ehescheidung für Frauen, wenn nicht unmöglich, dann als außerordentlich schwierig zu erreichen ist. Unter diesen Bedingungen hat sich der Brauch etabliert, dass Familien hohe Morgengaben verlangen, um so- vermeintlich- ihre Töchter abzusichern und gegen ungerechte Behandlung zu schützen. Wenn gerechte Gesetze die Gleichheit von Frau und Mann gewährleisten würden, würden Familien es nicht für Notwendig halten, hohe Morgengabe bei der Verehelichung ihrer Töchter zu verlangen. D.h. wenn jetzt die männlichen Gesetzgeber das Ziel verfolgten, hohe Morgengabe aus der iranischen Tradition zu eliminieren, sollten sie sich besser auf die Verbesserung der diskriminierenden Gesetze konzentrieren.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung einer anderen Diskriminierung: wenn ein iranischer Mann eine Ausländerin heiratet, benötigt er keine diesbezügliche Erlaubnis vom Gericht. Es reicht die Trauung zu vollziehen. Die Kinder dieser Ehen sind ohne weiteres als iranische Staatsbürger anerkannt. Im anderen Fall, wenn ein iranisches Mädchen, einen nicht- Iraner heiraten möchte, braucht sie die Erlaubnis von Iranischen Behörden und ihre Kinder werden nicht automatisch als Iranische Staatsbürger anerkannt. Sie würden für eine Einreise in den Iran, genau wie alle Ausländer, ein Visum benötigen. Wo hat es jemals im Islam eine Debatte über Staatsbürgerschaft und Visum gegeben? Auf welcher Basis versuchen die Machtinhaber alle Frauenfeindliche Gesetze dem Islam zuzuschreiben? Diese Gesetze kommen aus der Ecke der Tradition des Patriarchats. Sie sind ungerechte parteiische Interpretationen, die zu jedem Thema den Ton angeben. Der Entwurf dieses Familienschutzgesetzes ist also im Lichte dieser Orientierung zu verstehen.
Die Vorlage dieses Entwurfes begegnete, in der ersten Runde, viel Protest seitens verschiedener Aktivisten aus sozialem wie auch aus Juridischem Bereich- auch von Experten hörte man Kritik. Warum, aus Ihrer Sicht, ignorierte das Parlament diese Proteste?
Dieses Gesetz, das leider auch von einigen weiblichen Abgeordneten wie Frau Fatemeh Alia unterschrieben und von der Obfrau des Regierungszentrums für Familienangelegenheiten, Frau Tabibzadeh-Noori, positiv beurteilt wurde, erstaunte mich maßlos. Da dieser Entwurf nicht nur die Rechte der Frau in der Familie ignoriert sondern auch den reichen Männern die Möglichkeit liefert ihre Lust und Launen nach Belieben zu befriedigen. Das bricht die Familie als Organ zusammen und ist dem islamischen Sinn für Gerechtigkeit entgegengesetzt.
Letztes Jahr, als dieser Entwurf an die Öffentlichkeit ging, haben Sie in einem Interview bekannt gegeben, dass Sie, im Falle der Abstimmung des Nationalrates über diese Gesetzesvorlage, im Parlament einen Sitzstreik als Protest durchführen werden.. Stehen Sie noch zu Ihrem Wort?
Ich hoffe, dass die Präsidenten des Nationalrates mit Weisheit und Wachsamkeit werden es vermeiden können, dass eine solche Gesetzesvorlage auch beschlossen wird. Sollte es aber dazu kommen, werden, wie von mir angekündigt, iranische Frauen, darunter auch ich selbst, vor dem Parlament einen Sitzstreik beginnen. Auf keinen Fall kann man zusehen, wie wir in der Entwicklung Jahrhunderte zurückschreiten!
Es gibt auch andere Entwurfe die zur selben Zeit dem Parlament vorgelegt wurden. Darunter Islamische Straffgesetz und Verstärkung des Gesetzes gegen Verletzung der emotionalen Sicherheit. Welche Philosophie wird, ihrer Meinung nach, durch diese Entwürfe verfolgt? Das Prinzip besagt, dass Gesetze der Zeit voraus sein müssen, bzw. nach Weiterentwicklung und Verbesserung streben sollten. Warum müssen wir Zeugen solchen Rückschrittes sein?
Leider wurden diese Entwürfe gleichenzeitig mit dem sogenanntem Familienschutzgesetz dem Nationalrat vorgelegt und stehen damit in dem Arbeitsprogramm. In diesem Entwurf spricht man davon, dass die Erstellung von Webblogs und Webseiten, moralisch die Gesellschaft der Verderblichkeit und Blasphemie zuführt. Somit sind sie Verbrechen wie etwa Vergewaltigung und bewaffneten Raubüberfall, die mit Hinrichtung bestrafft werden, gleichzustellen. Dabei werden die Begriffe „ Verderblichkeit“ und „Blasphemie“ nicht genau definiert. Ein Thema von solcher Wichtigkeit wird der Interpretation des jeweiligen Gerichtes, des jeweiligen Richters, überlassen. Unterschiedliche und immer andere Auslegungen und Interpretationen sind zu erwarten.
Dieses Gesetz ist ein großer Schlag gegen die Freiheit des Wortes. Es ist der Anfang aller gesellschaftlichen Probleme. Denn, wenn eine Gesellschaft die Freiheit hat Wünsche und Probleme zu äußern, wird sie auch in der Lage sein, dafür Lösungen zu finden. Im Iran erweitert sich der Umfang der Zensur seit einiger Zeit in einem ausmaß, dass nicht nur die Zeitungen und Zeitschriften davon betroffen sind, sondern auch die Webblogs und Webseiten. Die Letzten Verhaftungen der Webblog- Autoren waren auch in diesem Zusammenhang. Es scheint aber, dass es noch immer nicht genug ist. Sie bezeichnen die Feder (Symbol des geschriebenen Wortes) als gefährlich. Schriftsteller werden unter der Anschuldigung hingerichtet „Verderblichkeit“ und „Blasphemie“ zu verbreiten und damit die Gesellschaft zu verunsichern. Die Freiheit des Wortes wird weiter eingeschränkt.
Wenn solche Entwürfe trotz Proteste beschlossen werden, was können die Leute tun und wie sehen Sie die Rolle der BürgerInnen in diesem Zusammenhang?
Natürlich muss man gegen solche Verletzungen der Rechtssicherheit und Menschenrechte auf friedlichem Wege und unter Einsatz von Rechtsmethoden vorgehen. Es wird erwartet dass wir von Protestaktionen absehen, weil die Lage des Landes, konfrontiert mit drei Resolutionen des UN- Sicherheitsrat, sehr heikel ist. Aber das sollte uns nicht davon abhalten zu protestieren. Schweigen ist hier nicht am Platz. Ich bin der Meinung, nur wenn die Menschenrechte im Land eingehalten werden, wird die Harmonie zwischen der Nation und dem Staat hergestellt werden können. In diesem Fall würde sich kein gieriger Feind trauen,
es auf unser Land abzusehen. Die Situation wird dann gefährlich, wenn sich Wege des Staates und der Staatsbürger voneinander entfernen. Eine solche Trennung kann nur durch Verletzung der Menschenrechte eintreten. Daher ist meine aufrichtige Empfehlung an die Adresse der Verantwortlichen, dass sie von Beschließung noch mehr menschenunwürdiger Gesetze abstand nehmen und solcherlei vermeiden. Nur so kann die Nation sich auf die wichtige Aufgabe der Verteidigung des Vaterlandes konzentrieren!
Vielen Dank!
Quelle: Change for Equality
Online ansehen : Committee for the Defence of Human Rights in Iran-Austria